NEIL SIMON
Premiere 27. August 2011
Andreas Seyferth | Ute Pauer Hannelore Gray | Inga Dechamps
Regie: Winni Victor
Raum/Licht: Stephan Joachim Kostüm: Johannes Schrödl Sounddesign: Kai Taschner Künstlerische Mitarbeit: Astrid Polak
Was ist hochkomisch, berührt und hat Biss? Antwort: ein Klassiker von Broadway-Kultautor NEIL SIMON. ('Sonny Boys', 'Ein seltsames Paar', 'Barfuß im Park')
Dieser geht so: Edna und Mel sind ein Paar. In den besten Jahren. Kinder aus dem Haus, gehobener Wohlstand. Allerdings: Edna hats nicht ganz leicht mit Mel. Denn der ist nicht der Nervenstärkste. 'Großstadtneurotiker' wäre zutreffend. Worüber immer ein Mensch sich aufregen kann, regt Mel sich auf. Als da (auszugsweise) wären: das Wetter, die Nachbarn, die Klospülung. Als eines schlimmen Tages das Fass überläuft, hält der Wahnsinn Einzug ins 14. Stockwerk der Second Avenue (Upper East Side, New York City). Aus Hausfrau Edna wird eine Alleinverdienerin – was den Gatten mental auch nicht weiter bringt. Der Psychotherapeut kostet ein Vermögen. Der Pleitegeier kreist. Gott sei Dank hat Mel zwei liebe Schwestern, die sich Gedanken darüber machen, was ein Mensch so zum Leben braucht… Und am Ende ist auch an Edna der tägliche Irrsinn der Überlebenskämpfe im Dschungel der Metropole nicht spurlos vorübergegangen…
Der schwarzen Komödie mit der hohen Pointendichte und den geschliffenen Dialogen merkt man ihr Alter (40 Jahre!) nicht im Geringsten an. Wie auch: Produzieren die fabelhaften Zeiten doch immer neue Mels und Ednas…
EDNA
Was hältst du von ein bisschen Therapie?
Vielleicht brauchst du nur jemanden,
der dir eine Zeitlang zuhört?
MEL
Ich weiß nicht mehr, wo ich bin und wer ich bin, Edna, ich... bin verloren. Ich brauche keinen Analytiker. Ich brauche das Fundbüro.
PRESSESTIMMEN
…that’s life …
Der bekannte amerikanische Dramatiker Neil Simon schaffte es mit Leichtigkeit und Präzision ein scheinbar zeitlos aktuelles Problem der Menschen in eine Boulevardkomödie zu fassen. I m Jahre 1971 wurde das Stück mit dem Originaltitel "The Prisoner of Second Avenue" am New Yorker Broadway uraufgeführt. Gab es sie damals schon, die Krise um die Arbeit und ihren Stellenwert im Leben des Menschen? Sicherlich, denn es ist die permanente Bedrängnis des in ein technokratisches System integrierten Lebewesens, das darin um Bestätigung und Überleben ringt. Das kann nur zu Selbstentfremdung und in hilfloses Ausgeliefertsein münden. Schon erscheint vor dem geistigen Auge das Bild von Charly Chaplin, eingezwängt zwischen Zahnräder, im Film "Moderne Zeiten".
Ein Appartement im 14. Stock eines Hochhauses in der Upper Eastside. Ein Wohnkäfig mit luxuriöser Ausstattung und einem 800 Dollar Sofa. Die Nachbarinnen lärmen, die Klimaanlage friert die heiße Sommerluft auf 0 Grad und der Müll stinkt bis an das geöffnete Fenster, die Wasserspülung ist defekt. Mel kann nicht schlafen. Er kämpft mit diesen Unzulänglichkeiten und seine Nerven vibrieren in der Aufregung. Sucht er die Aufregung, oder sucht die Aufregung ihn? Edna, seine Frau, erscheint im Nachthemd, es ist halb drei Uhr morgens. Sie sind ein Paar in den besten Jahren, leben in gehobenem Wohlstand, die Kinder studieren und der Kontoauszug weißt eine ansehnliche Summe aus. Alles Bestens, hätte Mel nicht … seinen Job verloren und damit seine Identität, seine Fremdbestimmung und den Inhalt seines bisherigen Lebens. [ ... ]
Andreas Seyferth schien die Rolle des Mel wie auf den Leib geschrieben. Mit grimmigem Gesichtsausdruck nahm er seine Umgebung wahr. Aggression leuchtete auf, wenn er gegen die Nachbarn aufbegehrte und Augenblicke später war er der Verunsicherte, der Entlassene. Allein sein komödiantisches Talent garantiert ausgezeichnete Unterhaltung. Ute Pauer gab als Edna ganz die verständnisvolle Frau. Doch auch sie hatte der Unbill des Lebens zu trotzen und bisweilen warf dieses sie auf den Boden, die Knie. Im Gegensatz dazu stand Mels Schwester Pauline, gespielt von Hannelore Gray, welche stets souverän und bestimmend auftrat, stets den Überblick und die Kontrolle behielt. Inga Dechamps als Mels Schwester Jessie kam die freundlich verbindliche Rolle zu. Die wohlüberlegte Regie von Winni Viktor und das ausgeglichene Ensemblespiel beförderten sowohl Text als auch Handlung. [ ... ]
Das Stück mit den humorvollen Pointen trifft ebenso wie die leicht schräge Inszenierung genau den richtigen Ton, trifft so fein nuanciert die Schmerzpunkte vieler Menschen. Sich diese bewusst zu machen und dabei schmunzeln zu können, da es Schauspiel ist, erlaubt Katharsis. Mehr können ein Theaterstück und dessen Inszenierung nicht leisten. Berührend, stellenweise leicht und heiter, stellenweise dramatisch und verzweifelt – die ganze menschliche Gefühlspalette wurde auf der Bühne sichtbar.
Es war ein überaus unterhaltsamer Abend im Theater Viel Lärm um Nichts, der darüber hinaus zu Auseinandersetzung und Austausch anregte. C. M. Meier / theaterkritiken.com
PS: Die Antwort auf die Frage nach dem rechten Stellenwert und dem rechten Handlungsbild im Arbeitsprozess liegt in der Natur. Dies veranschaulichte auch das Schlussbild des Theaterstückes. Der selbstbestimmte, aus sich selbst heraus handelnde Mensch agiert immer adäquat und dies sowohl im Sinne seiner Person, als auch im Sinne der von ihm erbrachten Arbeit. Im Gegensatz dazu bleibt der Produktionsläufe oder Systeme bedienende Mensch immer fremdbestimmt, damit funktional und das in seiner gesamten Haltung, in jedem Lebensbereich. Es ist der Mensch, der sich und andere ruiniert. Es gibt viele Studien zum Thema, wie die im Programmheft angeführten lesenswerten Ausschnitte zeigen.
Schwarz, doch farbenfroh
Das Theater Viel Lärm um Nichts eröffnet seine Spielzeit mit Neil Simons Tragikomödie "Dachlawine" und zeigt: die 70er können brandaktuell sein und komisch
Kein guter Tag: Mel hat seinen Job verloren und die Wohnung wurde von Einbrechern ausgeräumt. Nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch das neue Fernsehgerät und der alte Whisky sind weg. Das kann der Beginn einer Tragödie wie einer Komödie sein. Neil Simon, das 84-jährige Urgestein des US-Boulevardtheaters, entschloss sich zu beidem. Arbeitslosigkeit und Ehekrise mitten im Moloch Manhattan, in Schwung gehalten vom unverwechselbaren Wortwitz von Stücken wie "Ein seltsames Paar" oder den "Sonny Boys".
Simon reagierte mit der "Dachlawine" in den 1970er-Jahren auf die Weltwirtschaftskrise. Da wir Heutige uns inzwischen eine Welt ohne globalen Niedergang nicht mehr vorstellen können, fühlt man sich in der Inszenierung von Winni Victor schnell zu Hause. Das betrifft vor allem diejenigen, die sich noch aktiv an die Wohnkultur von vor vierzig Jahren erinnern können: Bühnenbildner Stephan Joachim schwelgt stilsicher in der großformatigen Symmetrie der Tapetenmuster und der sich tief in geschmacklichen Grenzbereichen aufhaltenden Farbigkeit.
Mel und seine Frau Edna sind weniger schrill. Sogar wenn sie sich am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegen oder schon den entscheidenden Schritt weiter sind, umschleichen, umgurren oder beleidigen sich Andreas Seyferth und Ute Pauer nicht ohne Contenance. Und Mels ältere Schwestern Jessie (Inga Dechamps) und Pauline (Hannelore Gray) sind ein seltsames Paar, das dem bürgerlichen Gruselkabinett Loriots entwichen zu sein scheint. Alles in allem ein gepflegter schwarzer Humor in farbenfrohem Ambiente. Mathias Hejny / AZ
Fotos: Hilda Lobinger