Arthur Schnitzler
Premiere 29. Dezember 2012
Eine sonderbare und nicht unbedenkliche Komödie, die sich
am Abend des 14. Juli 1789 in einer Spelunke in Paris abspielt.
Prospère
Marion Niederländer
Henri
Stephan Joachim
Grasset, Grain, Rollin
Sven Schöcker
Juliette, Léocadie
Judith Bopp
Scaevola, Vicomte von Nogeant,
Marquis von Lansac
Walter von Hauff
Chevalier de la Tremouille
Theresa Bendel
Michette, Séverine
Ute Pauer
Lebrêt, Kommissär,
Herzog von Cadignan, Balthasar
Robert Ludewig
Regie Andreas Seyferth Assistenz Astrid Polak Kostüm Johannes Schrödl Lichtdesign Jo Hübner Klangdesign Kai Taschner Flyer: Martina Körner
- Ich schwöre, dass das keine Komödie ist. - Freilich nicht, überall blitzt etwas Wirkliches durch. Das ist ja das Entzückende!
Wem sein Theater pleite ging, wird Wirt: Prospère hat ihr Pariser Kellerloch in eine Kaschemme mit kriminellem Flair umfunktioniert und macht einen auf 'revolutionär': Während sie selbst den adligen Gästen ihres Etablissements Derbes an die erlauchten Rüben pfeffert (betreffs Dero Gnaden geistig-moralischen Verkommenheiten und der folglich fälligen Hinrichtung) lässt sie Ex-Truppen-Mitglieder (soweit sie nicht in die Politik gegangen sind) als 'echte' Missetäter auftreten und die Kundschaft mit Berichten 'wahrer' (heißt selbst begangener) Verbrechen bespaßen.
Event-Gastronomie halt. Für Leute, die das Authentische suchen, den Kick, den wohligen Gruselschauer, der einem die Unwägbarkeiten der Wirklichkeit vom Leib hält.
Das Ganze läuft aus dem Ruder, als Prospères Star-Mime Henri seinen angekündigten Glanzauftritt hinlegt: Er gesteht, soeben aus Eifersucht einen wirklichen Herzog wirklich ermordet zu haben. Da der wirkliche Herzog eine wirkliche Affäre mit Henris wirklicher Gattin hat, glaubt man ihm aufs Wort. Bis der Herzog den Schauplatz als wahrhaft Lebender betritt - während draußen die Massen die Bastille stürmen, und das Unheil seinen wirklich wahren Lauf nimmt… Oder gehört auch das zur Show ...?
Ineinandergreifen von Spiel und Realität, verschwimmende Grenzen, Wirklichkeit des Scheins, Nicht-Wirklichkeit des Seins: 'Sicherheit ist nirgends.' Die Welt als Bühne, die Bühne als Welt, in der man permanent Täuschungen unterliegt (weil permanent Täuschungen produziert werden); in der ein Schmierenkomödiant nahtlos Karriere in der 'großen Politik' machen kann; in der Inhalt nichts und alles Spektakel ist; in der sich die bedrohliche Realität hinter Gesprächen über Ästhetik 'verspielt' und persönliche Racheakte uminterpretiert werden in revolutionäre Taten. Eine Bühnenwelt, in der das Geschehen in völlige Orientierungslosigkeit mündet - Derweil Theatermacher den Traum von der Welt bewegenden Macht der Kunst träumen…
WIRTIN
Sie werden bemerken, dass hier gar nichts Aufrührerisches vorgeht, schon aus dem Grunde, weil mein Publikum sich nicht aufrühren lässt. Es wird hier einfach Theater gespielt – das ist alles.
PRESSESTIMMEN
Es ist Revolution und nicht alle gehen hin. In der Kneipe von Prospère hört man am 14. Juli 1789 in Paris nur von draußen den Lärm des Aufstands um den Sturz der Bastille. Und wer von der Straße hereinkommt, ist vermutlich nicht, was er scheint: Verbrecher, Revoluzzer, Polizist, Adliger oder einfach nur Schauspieler? Gehören die Morde nur zum Programm oder liegt dort wahrhaftig ein Toter? Der Herr Marquis und seine Gattin amüsieren sich auf jeden Fall prächtig. [...] Die Spielfläche zerfließt in theatervorhangfarbenem Rot und wird von einem gut aufgelegten Ensemble von nur acht Darstellern bevölkert, das das Personal der insgesamt 20 Figuren aufbietet. Das Groteske sind hier vor allem die dezent ins Spiel gebrachten Klischees des Dekadenten, wozu der Marquis de Lansac (Walter von Hauff) und die Marquise (Ute Pauer) ebenso gehören wie Künstler, wie die großäugig somnambule Schauspielerin Léocadie (Judith Bopp), ihr eitler Mann (Stephan Joachim) oder der überspannte Dichter (Sven Schöcker). Im Zentrum steht Prospère [...]. Marion Niederländer als Frau Wirtin ist nicht die schwierige Prinzipalin, sondern eine charmante Dompteuse des Raubtiers Mensch. Mathias Hejny / AZ
Was ist Theater und was ist Wirklichkeit? Was ist Schein und was ist Sein? Das sind die Kernfragen, um die Arthur Schnitzlers Revolutionsdrama „Der grüne Kakadu“ kreist. Bei der ausverkauften Premiere in der Pasinger Fabrik gab es eine Bühnenwelt in rotem Samt zu sehen, die perfekt die Orientierungslosigkeit der Zeit der französischen Revolution widerspiegelte. Angesiedelt im Milieu eines Pariser Keller Etablissements namens „Grüner Kakadu“ bietet dessen Wirtin Prospere (hervorragend in ihrer Rolle: Marion Niederländer) ihren Gästen mit ihrer Show den Kick, der sie wohlig schaudern lässt. Und so führt die smarte Wirtin brillant durch den Abend und engagiert Künstler, die nicht nur als „echte“ Mörder auftreten sollen, sondern diese Art Verbrechen in ihrer Vergangenheit auch tatsächlich auf dem Konto stehen haben. Star der Truppe ist Henri, der zwar am Vorabend gekündigt und die Edel-Prostituierte Leocadie (überzeugend in einer Doppelrolle: Judith Bopp) geheiratet hat, aber schließlich seinen angekündigten Abschiedsauftritt hinlegt. Und der hat’s in sich: So gesteht er, aus Eifersucht einen echten Herzog (ebenfalls in mehreren Rollen zu bewundern: Robert Ludewig) ermordet zu haben. [...] Für die anwesenden Adeligen (hinreißend gespielt von Ute Pauer, Walter von Hauff und Theresa Bendel), die sich auch angesichts der drohenden Folgen der Revolution nach wie vor nicht des Ernstes ihrer Lage bewusst sind, ist alles weiterhin ein riesiges Spektakel... Mit viel Liebe zum Detail hat Andreas Seyferth das Stück inszeniert, aufwändige Kostüme besorgt und die komischen Elemente trefflich arrangiert. Das Kollektiv harmoniert bestens und sorgt so für Unterhaltung auf hohem Niveau. Martina Scheibenpflug / Münchner Merkur
Von den Unruhen auf der Straße ist in der Kneipe der gescheiterten Theaterdirektorin Madame Prospère einiges zu spüren. [...] In der Pasinger Inszenierung wurden auch noch andere Texte der Revolution eingefügt, meist rezitiert von der „Schauspielschülerin“ Juliette. Die an sich schon in der Vorlage grotesken Figuren sind in Seyferths Inszenierung kunstvoll ins Extremste überzeichnet. Es treffen die schrägsten Charaktere aufeinander: auf der einen Seite das gemeine Volk, das in moderner, jedoch meist heruntergekommener Kleidung auftritt; auf der anderen die adeligen Gäste, die mit glitzernden Kostümen des 18. Jahrhunderts, Puderperücken und Schönheitsfleck aufwarten. Herrlich ist etwa der tuntige Marquis von Nogeant, der sich in den jungen Chevalier Albain verguckt und immer wieder bei Prospères Beschimpfungen beteuert, es sei alles nur Spaß. Richtig Mitleid bekommt man mit dem Ex-Häftling Grain, der bei den Profis mitmachen will, jedoch nach diversen Schauspielversuchen wieder zum Akkordeonspielen verdonnert wird. Alle agieren in einer angedeuteten Kneipe, die völlig in roten Stoff – dem ehemaligen Theatervorhang – eingehüllt ist. Die Tische reichen auch bis in die vordersten Zuschauerreihen, sodass die Theaterbesucher auf diesen Plätzen praktisch auch zum Stück gehören. Und über allem kreist der Namensgeber der Bar, ein grüner Kakadu. Eine absolut bemerkenswerte Leistung des Regisseurs ist es, das gesamte Stück mit nur acht Schauspielern zu bewältigen. [...] Die acht Leute haben sichtlich Spaß an der Sache und interagieren oft auch mit den Zuschauern an den Tischen. [...] Bei allem Spaß ist das Werk jedoch auch sehr philosophisch. Die Sehnsucht der armen Bürger nach etwas Glück wird ebenso deutlich, wie die völlige Realitätsfremde der adeligen Gesellschaft. Wer das herrlich schräge aber viel zu selten inszenierte Schnitzlerstück selbst sehen will, der hat noch bis 9. März 2013 Gelegenheit dazu. theater to go / mako89
[...] Abendfüllend ist Schnitzlers Einakter nicht gerade, also hat Regisseur Andreas Seyferth ihn in seiner charmant faschingshaften Inszenierung mit einigem Füllmaterial und hübscher Musik aufgepolstert und bedient kräftig die Metatheater-Ebene. Im vollständig mit rotem Pannesamt ausgeschlagenen Bühnenraum dressiert Marion Niederländers toughe Prospère auf Plateausohlen wie Kothurnen eine tolle Menagerie an Knallchargen. Die besteht aus acht Schauspielern, die im rasanten Kostümwechsel neunzehn Figuren auf die Bühne stellen. Sven Schöckers großmäuliger Grasset hat vom Theater in die Politik gewechselt und kommt im Oktoberrevolutionsschick daher; als weinerlicher Mörder Grain serviert er mit Fistelstimme den Running Gag des Abends, wenn er nicht gerade den blasierten Dichter Rollin mit Leningrad-Cowboys-Tolle gibt. Der Star von Prospères Etablissement ist der eilte Henri, den Stephan Joachim mit großer Geste ausstattet. Judith Bopp switcht von der abgebrühten Nebenerwerbsprostituierten Leocadie zur Elevin Juliette, die eifrig an ihren gewissensbelasteten Rollen arbeitet. Den Adel hat Johannes Schrödl in hübsche Rokokokostüme gesteckt. Walter von Hauff und Ute Pauer amüsieren sich als Marquis und Marquise von Lansac mit tattrigem Kopfwackeln und krähendem Frohsinn fast zu Tode, flankiert von Theresa Bendels komisch verklemmtem Albin, Chevalier von Nichtsnutz und Unschuld vom Lande. [...] Münchner Feuilleton / Christiane Wechselberger
Fotos: Hilda Lobinger
Arthur Schnitzler (1862 – 1931)
Protagonist der 'Wiener Moderne'; Anfang des 20. Jahrhunderts einer der meistgespielten Dramatiker. Autor von Novellen und Erzählungen. Als praktizierender Arzt zunächst in den Fußstapfen seines Vaters, der als Laryngologe eine Poliklinik leitet (und die Kehlen der Wiener Theaterwelt betreut). Die Schnitzlers gehören dem assimilierten jüdischen Großbürgertum an. Arthur studiert Medizin und schreibt. Daneben widmet er sich einer bisweilen existenzgefährdenden Spielleidenschaft, ausgiebigen Kaffeehausbesuchen und zahlreichen Affären … Fasziniert ist er von der Psychoanalyse. Sie und seine Praxis als Allgemeinmediziner bestimmen auch das literarische Schaffen. Sein Forschungsgegenstand: die inneren und äußeren Fäden, an denen Mann wie Frau hängen. Wie eine/r spielt und gespielt wird. Er seziert die Fassaden seiner Zeitgenossen: Die vermeintlichen Gewissheiten, die falschen Selbst- und Weltbilder der Wiener Gesellschaft des Fin de Siècle. Und er scheut keine Konflikte. Seine Novelle LEUTNANT GUSTL bringt ihm die Aberkennung seines Offiziersrangs als Oberarzt der Reserve ein; das Drama PROFESSOR BERNHARDI, das den herrschenden Antisemitismus offen zum Thema hat, wird von der Zensur verboten. DER REIGEN löst einen handfesten Skandal aus, gefolgt von einem Prozess wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses – alles immer begleitet von antisemitischen Hasstiraden. DER GRÜNE KAKADU wird am 1. März 1899 am Wiener Burgtheater uraufgeführt und nach der dritten Aufführung auf Wunsch einer einzelnen Dame (eines Mitglied der kaiserlichen Familie) abgesetzt. Doch die Tage der Habsburger Monarchie - wie die des Ancien Régime gut hundert Jahre vorher - sind gezählt: Im ersten Weltkrieg (für den Schnitzler nicht die gewünschte Begeisterung aufbringt) versinkt auch die k. u. k. Monarchie.
Was wir Illusion nennen, ist entweder Wahn, Irrtum oder Selbstbetrug, - wenn sie nicht eine höhere Wirklichkeit bedeutet, die als solche anerkennen wir zu bescheiden, zu skeptisch oder zu zaghaft sind. Arthur Schnitzler