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VICTOR oder die KINDER an der MACHT

von Roger Vitrac

Eigenproduktion theater VIEL LÄRM UM NICHTS

Premiere 3. Oktober 2019



mit

Rainer Haustein | Melda Hazirci | Peter Papakostidis

Verena Richter | Sarah Schuchardt | Neil Vaggers

Alexander Wagner/Arno Friedrich


Regie: Arno Friedrich Dramaturgie: Laura Mangels Bühne & Kostüm: Claudia Karpfinger, Katharina Schmidt Musik: Neil Vaggers Puppenbau: Tine Hagemann Lichtdesign: Jo Hübner Assistenz: Ilaria Grillo Technik: Max Reitmayer / Bogdan Domansky













"Er riecht nach Eau de Cologne, dein Tod."

(Victor)



"Das macht minus zehntausend von meiner Erbschaft",

sagt Victor und zerschmeißt vergnügt das Familienporzellan. Victor, 9 Jahre alt und zwei Meter groß, feiert Geburtstag. Das bürgerliche Establishment um Victors Eltern gibt ein Fest mit Familienfreunden, Nachbarn, einem obligatorischen General - und all ihren (ungewollten) Spiegelbildern. Denn Victor, nach Aussage der Eltern "schrecklich intelligent", möchte nicht nur herausfinden, "wo der Hammer hängt", sondern auch wie man selbigen benutzt. Er beginnt die glänzenden Fassaden zu zerschlagen und sägt am bürgerlichen Interieur. Die Eltern greifen nach ihren Lebenslügen wie nach ihrem letzten Strohhalm, doch das Kind ist einfach nicht mehr ruhig zu stellen.

Während Victor an allen vier Tischbeinen der Familie hobelt und ungebetene Gäste die Luft verpesten, werden Kriege vorbereitet, Affären vertuscht, Lieder geschmettert, in die Tasten gehauen und Verlorengegangenes beschworen. Die Komödie muss mit allen Mitteln am Laufen gehalten werden, die Leute schauen schließlich zu! Doch das von Victor entfachte Chaos ist unaufhaltbar, und die auf Lügen und Schein gebaute Welt der Erwachsenen beginnt zu zerbröseln.



Das Ensemble um Regisseur Arno Friedrich erzählt Roger Vitracs surrealistischen Angriff auf die bürgerliche Lebenswelt als Theaterabend, in dem Punk und Dada miteinander verschwimmen. Die Bühnen- und Kostümbildnerinnen Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt erschaffen einen Spielraum für Victors Eskapaden. Mit eigens komponierten Stücken von Neil Vaggers (ExpressBrassBand, Trikont), Dinggedichten von Verena Richter und Figurenbau von Tine Hagemann, entwächst Victor der Welt um ihn herum. Zwischen "Fridays for Future" und der Unausweichlichkeit einer drohenden Katastrophe lässt Victor die Marionetten zum Brassbeat tanzen und dabei keine Unverschämtheit ungesagt. Unter der Mitarbeit der Dramaturgin Laura Mangels, Jo Hübner (Licht) und Ilaria Grillo (Assistenz) und mit den Schauspieler*innen Rainer Haustein, Melda Hazirci, Peter Papakostidis, Sarah Schuchardt und Alexander Wagner feiert das Ensemble einen theatralen Abgesang auf die Welt, "wie sie immer war". Denn Victor hat das Gefühl, die Zukunft ist schon da...



"Wenn ein paar Kinder auf der ganzen Welt Schlagzeilen machen können, indem sie einfach nicht zur Schule gehen, dann stellt euch vor, was wir gemeinsam erreichen könnten, wenn wir es wirklich wollen würden. Aber um das zu tun, müssen wir klar sprechen. Ganz egal, wie unangenehm das sein mag."

(Greta Thunberg)


 

Teaser & Trailer:






 

Pressestimmen:


Dada meets Punk

(…) es wäre schön, wenn das Theater für diesen Mut und dieses Engagement mit einer großen Zahl an Besuchern belohnt werden würde. Verdient wäre es allemal. Roger Vitrac (…) zählt nicht unbedingt zu den Dauergästen in den Spielplänen, doch seine dramatische Kunst zu erleben ist ein echter Gewinn (…) ein anarchisches Manifest für die Rebellion wider die bürgerliche Lebensart schlechthin. (…)

Victor (…) entlarvt seinen Vater Charles Paumelle, bigott und stetig um Contenance ringend, gespielt von Peter Papakostidis. Dabei hat Victor eine standhafte Verbündete: Esther Magneau, von einer fragilen und zurückhaltend agierenden Verena Richter gestaltet, die sich im Verlauf des Abends als wunderbare Saxophonistin und Dada-Poetin entpuppt. Gemeinsam mit ihr führen beide Thérèse Magneau, Esthers Mutter, entlarvt als die Geliebte von Victors Vater, vor. Melda Hazirci wehrt die Anschuldigungen und Anspielungen mit großäugiger Ignoranz ab, lässt sich allerdings auch, die Plagen wollen einfach nicht Ruhe geben, zu Gewalttätigkeiten hinreißen. Esters vermeintlicher Vater Antoine Magneau, auch der Hahnrei genannt, wird sich am Ende umbringen, denn obgleich Rainer Haustein ihm eine vordergründige Robustheit verleiht, zerbricht er letztlich an seinem eigenen Innenleben (…). Emilie Paumelle, Victors Mutter, ist mehr Spielball der Ereignisse, denn Spielerin im verlogenen bürgerlichen Reigen. Sarah Schuchardt verleiht ihr eine Verletzlichkeit, die allerdings keine wirklichen Konsequenzen für sie hat, da man sich in einer chaotischen Groteske befindet und Ursache und Wirkung selten logisch und berechenbar sind. Die „obligatorische“ Figur im Stück ist General Etienne Lonsegur, ein Freund der Familie Paumelle. Neil Vaggers, der gemeinsam mit Verena Richter den musikalischen Part realisierte, erinnerte eher an einen Zirkus-Conférencier, entpuppte sich aber immerhin als freundlicher und mitfühlender Zeitgenosse. (…)  Der Kniefall vor Jarry, ein genialischer Dramatiker, ist unübersehbar. General Etienne Lonsegur wird am Ende gedemütigt und degradiert. So geht’s freundlichen Militärs.

(…) Bühnen- und Kostümbildnerinnen Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt schufen einen Raum, der alles vorhielt, um der chaotischen Handlung einen barrierefreien Rahmen zu geben. Und so wurde munter drauflos gespielt, musiziert, deklamiert und auch gesungen. Es war ein kurzweiliger Abend, sofern man sich darauf einlassen konnte, der kruden Logik, den anarchischen Texten und dem seltsamen Verhalten der Figuren zu folgen. Victor, gespielt von Alexander Wagner, hatte einen Rattenkopf! Es gab immer wieder darstellerische und musikalische Kabinettstückchen, die auch Szenenapplaus provozierten. Doch wer da glaubt, vieles hätte keinen Sinn, der irrt. (…)

Das von Arno Friedrich aufregend und illuster in Szene gesetzte Stück ist eines über Aufruhr und Rebellion, hier von Kindern. Und das ist uns heute nicht fremd. (…) Im Übrigen könnte man meinen, dass einige Zeilen des Stücks aus dem heutigen politischen Diskurs entnommen seien, wenn Victor zu Verstehen gibt, dass die Zukunft bereits begonnen hat. (…)  In Vitracs Stück finden sich Kirchenkritik ebenso wie Moralkritik, die auch heute noch aktuell sind. Es benennt immer wieder den Wahnsinn des Krieges, vor allem aber brandmarkt es die Erwachsenen als Lügner und deren Welt als Lüge, die so keinen Bestand mehr haben kann.

Das Stück ist ein brandaktuelles und dank des versierten Händchens von Arno Friedrich ein sehr unterhaltsames Theaterereignis. In unserer durchstrukturierten Welt und in unserem ebenso durchstrukturierten Denken (…) kann Surrealismus, Anarchie und Dada, der hier auf Punk trifft, geradezu therapeutisch wirken. Also, ehe die Entscheidung für ein Wellness-Event fällt, sei diese Inszenierung empfohlen, um die grauen Zellen mal wieder aus dem Kalk zu lösen, aufzuwirbeln und neu zu sortieren.

Wolf Banitzki (www.theaterkritiken.com)


weitere Pressestimmen:

 

Zu Stück & Autor


Plakat der Uraufführung

Roger Vitrac, wird 1899 in der Dordogne geboren. Während seiner Schulzeit lebt Vitrac mit seinen Eltern in Paris und erlebt den 1. Weltkrieg in der Hauptstadt. Als er nach Kriegsende seinen Militärdienst ableisten muss, flüchtet sich Vitrac in seiner Freizeit in Pariser Künstlerzirkel. Bald kommt er mit den Vertreter*innen der DADA-Bewegung in Kontakt und führt ein erstes stark dadaistisch geprägtes Theaterstück in seiner Kaserne auf. DADA und das Militär passen nicht gut zusammen. Nach dem Ablauf seines Militärdienstes schließt Vitrac sich der surrealistischen Bewegung in Paris an und begegnet so Andrè Breton und Antonin Artaud, dem späteren Regisseur der Uraufführung von „Victor oder Die Kinder an der Macht“.

„Weil sie ihren unwürdigen kommerziellen Instinkten so sehr erlegen waren, dass sie surrealistische Stücke im Rahmen des professionellen Theaters aufführen wollten“ (Andrè Breton), werden Roger Vitrac und Antonin Artaud im Jahr 1926 aus dem Kreis der Surrealisten ausgeschlossen. Daraufhin gründen Vitrac und Artaud gemeinsam mit Robert Aron das „Thèâtre Alfred Jarry“. Benannt nach dem schon 1907 verstorbenen Dramatiker Jarry, der mit der Uraufführung seinen Stückes „König Ubu“ einen der bekanntesten Theaterskandale der Zeit zu verantworten hatte (das Stück begann mit des Ausruf „Merdre!“, einer Verkünstelung des Wortes „Merde!“), entstand unter diesem Namen eine experimentelle Bühne. Neben Stücken von August Strinberg und Alfred Jarry fand am 24. Dezember 1928 die Uraufführung von „Victor oder die Kinder an der Macht“ unter der Regie von Antonin Artaud in der „Comèdie des Champs-Elysèes“ statt, da das „Thèâtre Alfred Jarry“ über keinen eigenen Raum verfügte. Diese und weitere widere Umstände führen dazu, dass Antonin Artaud später schreibt, jede Vorstellung des Alfred-Jarry-Theaters sei ein Kunststück und Wunder gewesen. Er berichtet im Jahr 1929: „Was „Die Kinder an der Macht“ betrifft, so war es noch schlimmer. Es war nicht möglich, das Stück vor der Generalprobe auch nur ein einziges Mal von Anfang bis Ende auf der Bühne zu sehen.“ Weil das Theater finanziell und logistisch kaum unterstützt wurde und das Publikum am Heiligen Abend im Theater etwas anderes erwartet hatte, blieb „Victor oder Die Kinder an der Macht“ die letzte Produktion des „Thèâtre Alfred Jarry“.

Roger Vitrac schrieb weiterhin und veröffentlichte Theaterstücke, Gedichte und Prosa, lebte jedoch vornehmlich von seinen Beiträgen für Zeitschriften, Film und Radio. 1952 verstirbt Vitrac nahezu unbekannt.

„Victor oder Die Kinder an der Macht“ blieb sein erfolgreichstes Bühnenwerk und wurde in Deutschland erstmalig 1963 an den Münchner Kammerspielen von seinem Weggefährten Jean Anouilh inszeniert. Gemeinsam mit dem Regisseur der Uraufführung, Antonin Artaud, kann Vitrac als einer der Vorgänger des „Absurden Theaters“ bezeichnet werden. Vor allem die theatertheoretischen Texte Artauds, der Theater nicht als Nachbildung der Wirklichkeit, sondern als eine eigene Wirklichkeit bezeichnete, sind auch für die heutige Theater- und Performancekunst von großer Bedeutung.


 

Fotos: Volker Derlath


 

ANTWORTEN & FRAGEN




Neil Vaggers ist Musiker und hat die Musik für „Victor oder die Kinder an der Macht“ geschrieben und arrangiert.

How did you create the music for „Victor“? I learnt from an interview with David Bowie to record ideas or write them down straight away, as quickly as they come, even if it’s 3o’clock in the morning! Trying to remember a lost idea is like trying to remember a dream. I work this way and my intuition, spontaneity and experience work with me.

It is a great pleasure for me to move in Theater with a team of talented and creative artists and watch the way ideas develop into songs and then into parts of an ever changing, live, living performance. With thanks to the Rolling Stones and the voice of Macedonia. Pas plus Pille Palle. Neil Vaggers 09.2019


Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt haben neben den Kostümen auch die Bühne für Victors Geburtstagsfeier entworfen.

Wie seid ihr vorgegangen, um diesen Ort zu erfinden? Wir haben versucht einen Ort für das bürgerliche Leben im Stück zu finden, ohne jedoch einen Salon oder ein Schlafzimmer eins zu eins abzubilden.

Gleichzeitig wollten wir einen Raum kreieren, der Situationen, die in dem Stück vorkommen, ermöglicht. Wir entschieden uns für eine Bühne, in der durch Höhenunterschiede eigene kleine Räume entstehen – jedoch ohne den Bezug zueinander verlieren. Während Victor beginnt, seine Eltern herauszufordern, befinden sich alle Figuren stets im selben Raum und doch an unterschiedlichen Orten. Beim gemeinsamen Konzipieren wurde uns schließlich klar, dass wir die Umgebung für das Stück als einen angemieteten Tanzschuppen erzählen wollten, als etwas in die Jahre gekommene Disco. Dafür haben wir unterschiedlichste Elemente zusammengeführt. Eigentlich wollten wir sogar die „Busentapete“ aus dem ehemaligen X-cess an die Wände kleistern. Es wurde dann schließlich eine riesige Discokugel-Tapete, designed by Barbara Becker. Als wir bei der Recherche auf den folgenden, durch die Band FSK bekannten Spruch stießen, wussten wir, dass wir auf der richtigen Spur sind: Heute Disco Morgen Umsturz Übermorgen Landpartie.


Tine Hagemann ist Puppenbauerin und Puppenspielerin. Für „Victor oder die Kinder an der Macht“ hat sie Victors Hamstermaske gebaut.

Was war dir beim Bauen dieser Maske wichtig und wie hast du Victors Gesicht gestaltet? Ich wollte, dass der Kopf des Hamsters so aussieht, dass man darunter keine Haut und kein Fleisch sehen kann. Der Mensch sollte hinter dieser Hamstermaske nicht mehr zu sehen sein. Bei einer Puppe baue ich ein ganz eigenes Innenleben. Bei einer Maske ist das anders, schließlich befindet sich darunter oder dahinter ein Mensch. Damit die Maske möglichst gut passte, habe ich mit einem Gipskopf gearbeitet und die Maske an den Körper des Victor-Darstellers angepasst.

Um das Gesicht des Hamsters zu gestalten, habe ich versucht die Proportionen eines Hamstergesichtes in die Maske zu übertragen. Doch Victor sollte kein schöner Feld- und Wiesenhamster sein, sondern ein etwas runtergekommener Straßenhamster aus dem Gulli.


(die Interviews wurden geführt von Laura Mangels)

 

Produktionsbegleitend entstandene Filmarbeiten:

"Agonie 1928" Kurzfilm von Arno Friedrich, produktionsbegleitend entstanden


"Welcome to your world" Kurzfilm von Arno Friedrich, produktionsbegleitend entstanden


"Zum Schutz der Fliegen" Kurzfilm von Arno Friedrich, produktionsbegleitend entstanden



 

Ein Gespräch zwischen DADA und heute

Roger Vitrac: Ich höre schon: „Diese Wiederaufnahme, lohnt sich das?“ Ist das Werk veraltet? Der Autor ist älter geworden. Man sagt, das Alter flöße Ehrfurcht ein. Sicher. Aber aller Beginn liegt bei der Jugend…

König Ubu: Merdre! Schoiße!

Emilie Paumelle: Hört Victor! Er kann antworten! Er möchte antworten!

Therese Magneau: Ich hasse altkluge Kinder.

Greta Thunberg: Wenn ein paar Kinder auf der ganzen Welt Schlagzeilen machen können, indem sie einfach nicht zur Schule gehen, dann stellt euch vor, was wir gemeinsam erreichen könnten, wenn wir es wirklich wollen würden.

Charles Paumelle: Ich weiss nicht, warum alles auf einmal in die Brüche geht. Ich verstehe dies ganze Theater nicht.

Roger Vitrac: Und warum diese Grand Dame? Warum nicht eine Sphinx?

Victor: Die Frau aß ein Stück Brot

J. L., Autor*in der Zeitung „L’Ami du peuple“: Nach einem ersten, sehr gut gespielten Akt, in dem die Figuren lebendig dargestellt waren, geriet das Stück im Schlepptau von Victor, einem frühreifen und perversen Kind, auf befremdliche Abwege!

Roger Vitrac: Victor ist vielleicht ein peinliches Werk. Und ich weiß sehr wohl, dass Verlegenheit der Feind des Vergnügens ist. Aber wer hindert das Publikum, sich sein Vergnügen auf Kosten des Autors zu holen?

Antonin Artaud: Dein Stück wird vollständig gespielt. All Deine Personen sind sehr wunderlich, voller Reize, Absonderlichkeit, verblüffend vor Lebendigkeit… trotzdem würde man gern sehen, dass sie etwas tun.

Emilie Paumelle: Aber setzt euch doch.

König Ubu: Schoiße! Ja!

Emilie Paumelle: Aperitivo?

König Übu: Lecker Aperitivo!

Monsieur XY, der bei der Uraufführung eine Stinkbombe auf die Bühne warf: Ich habe bei der Uraufführung eine Stinkbombe auf die Bühne geworfen und würde dies jederzeit wieder tun.

Lucien Descaves, französischer Journalist: Ist ihnen aufgefallen, dass die Hauptrollen, die neun und sechs Jahre alt sind, von Schauspielern dargestellt werden, deren Wachstum seit langem abgeschlossen ist; das ist schon komisch.

Victor, neun Jahre alt: Ich bin kein Kind! Es hat nie Kinder gegeben!

Antonin Artaud: Mein lieber Vitrac, Deine Arbeit sollte jetzt abgeschlossen und die Broschüre hergestellt sein. All das ziehst sich schon zu lange hin. Kommen wir zu einem Ende. Ich habe genug.


(Laura Mangels)

 

Bilder aus der Werkstatt


Das Glück der Probe


Bühnenbau / Moulin Lila


 

Material

ich hab das Gefühl, die Zukunft ist schon da. (Victor oder die Kinder an der Macht)

Hugo Ball – Aus dem Eröffnungsmanifest des 1. Dada-Abend, Zürich 1916:

Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen ganz Zürich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Französischen bedeutet’s „Steckenpferd“. Im Deutschen „Addio, steigt mir bitte den Rücken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal!“ Im Rumaenischen „Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir“. Und so weiter. Ein internationales Wort. (….) Ein Vers ist die Gelegenheit, möglichst ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhänden, die die Münzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhört und wo es anfängt. Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er überhauptetwas heissen? Müssen wir denn überall unseren Mund dran hängen?


Link: (Musik der Dada-Bewegung) http://www.openculture.com/2016/02/hear-the-experimental-music-of-the-dada-movement.html




Antonin Artaud

DADA

war eine künstlerische und literarische Bewegung, die 1916 von Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp in Zürich begründet wurde und sich durch Ablehnung „konventioneller“ Kunst und Kunstformen und bürgerlicher Ideale auszeichnete. Vom Dada gingen erhebliche Impulse auf die Kunst der Moderne bis hin zur heutigen Zeitgenössischen Kunst aus. Für ihre Revolte wählten die Akteure dieser Bewegung die bewusst banal klingende Bezeichnung Dada.

totaler Zweifel an allem und die Zerstörung von gefestigten Idealen und Normen

Die durch die gesellschaftliche Moral bestimmten künstlerischen Verfahren wurden durch einfache, willkürliche, meist zufallsgesteuerte Aktionen in Bild und Wort ersetzt. Die Dadaisten beharrten darauf, dass Dada(ismus) nicht definierbar sei.

Der Dadaismus stellte die gesamte bisherige Kunst in Frage, indem er ihre Abstraktion und Schönheit durch satirische Überspitzung zu reinen Unsinnsansammlungen machte, wie in sinnfreien Lautgedichten. Hugo Ball war der Erfinder des Lautgedichtes. Dabei wird das Zusammenspiel von Wortlaut und Bedeutung aufgebrochen und werden die Wörter in einzelne phonetische Silben zerlegt. Die Sprache wird ihres Sinnes entleert und die Laute werden zu rhythmischen Klangbildern zusammengefügt. Dahinter steht die Absicht, auf eine Sprache zu verzichten, die nach Ansicht der Dadaisten in der Gegenwart missbraucht und pervertiert ist. Mit den sogenannten Simultangedichten (Lautgedichte werden gleichzeitig von verschiedenen Menschen durcheinander gesprochen) wollten die Dadaisten auf die ohrenbetäubende Geräuschkulisse der modernen Welt (in den Schützengräben, in der Großstadt …) und auf die Verstrickung des Menschen in mechanische Prozesse aufmerksam machen.

Im Laufe des Ersten Weltkriegs breitete sich der Dadaismus in ganz Europa aus. Überall protestierten Künstler durch gezielte Provokationen und vermeintliche Unlogik gegen den Krieg und das obrigkeitsstaatliche Bürger- und Künstlertum. Gegen den Nationalismus und die Kriegsbegeisterung vertraten sie Positionen des Pazifismus und stellten sarkastisch die bisherigen absurd gewordenen Werte in Frage.

Hans Arp hatte einmal höchst anschaulich beschrieben, wie es ablief, wenn sie ihr Programm vollführten: „Tzara lässt sein Hinterteil hüpfen wie den Bauch einer orientalischen Tänzerin, Janco spielt auf einer unsichtbaren Geige und verneigt sich bis zur Erde. Frau Hennings mit einem Madonnengesicht versucht Spagat. Huelsenbeck schlägt unaufhörlich die Kesselpauke, während Ball, kreidebleich wie ein gediegenes Gespenst, ihn am Klavier begleitet. – Man gab uns den Ehrentitel Nihilisten“.

Dada zerstörte die getrennten Ausdrucksweisen der Künste und führte verschiedene künstlerische Disziplinen zusammen, die zum Teil anarchisch miteinander verbunden wurden: Tanz, Literatur, Musik, Kabarett, Rezitation und verschiedene Gebiete der Bildenden Kunst wie beispielsweise Bild, Bühnenbild, Graphik, Collage, Fotomontage.

Die Dadaisten entdeckten den Zufall als schöpferisches Prinzip.

Hans Arp hatte lange in seinem Atelier am Zeltweg an einer Zeichnung gearbeitet. Unbefriedigt zerriss er das Blatt und ließ die Fetzen auf den Boden flattern. Als sein Blick nach einiger Zeit zufällig wieder auf die Fetzen fiel, überraschte ihn die Anordnung. Sie besaß den Ausdruck, den er die ganze Zeit vorher gesucht hatte. Arp wandte das Prinzip auch auf seine Lyrik an: „Wörter, Schlagworte, Sätze, die ich aus Tageszeitungen und besonders aus Inseraten wählte, bildeten 1917 die Fundamente meiner Gedichte. Öfter bestimmte ich auch mit geschlossenen Augen Wörter und Sätze … Ich nannte diese Gedichte Arpaden.“

Dada ist auch eine künstlerische Reaktion auf die Erschütterungen der Zeit des Ersten Weltkrieges. Der Zerstörung aller gültigen Werte und bürgerlichen Normen durch den Ersten Weltkrieg sowie der daraus resultierenden kulturellen Leere wurde eine freie, respektlose Kunst entgegengestellt, die den Bürger beispielsweise mit Publikumsbeschimpfung provozieren sollte.


Die Figur CHARLES, überrascht über das plötzliche Auftauchen der Ida Totemar und empört über die Unglaubwürdigkeit seines Autors, Roger Vitrac: Wenn ein Theaterautor es gewagt hätte, Sie [Ida Totemar ] gerade jetzt, in diesem Augenblick, erscheinen zu lassen, – man würde empört sein über soviel Unglaubwürdigkeit.

Surrealistisches Manifest

Das Manifeste du Surréalisme (Manifest des Surrealismus) ist ein 1924 und als Nachdruck um ein Vorwort ergänztes 1929 in Paris veröffentlichtes Manifest von André Breton. 1930 erschien das Second Manifeste du Surréalisme (Zweites Manifest des Surrealismus), nachgedruckt 1946. Ab 1962 wurden sie zusammen mit anderen Texten unter dem Titel Les Manifestes du Surréalisme veröffentlicht. Bretons Manifeste sind die intellektuellen Grundlagen des Surrealismus.

Ausgehend von der dadaistischen Bewegung in Paris war der Surrealismus eine revolutionäre Bewegung, die gegen die unglaubwürdigen Werte der Bourgeoisie antrat. Im Unterschied zum satirischen Dadaismus wurde im Surrealismus eine neuartige Sicht der Dinge, beeinflusst von Symbolismus, Expressionismus, Futurismus, den Schriften Lautréamonts, Arthur Rimbauds, Alfred Jarrys und den Theorien Sigmund Freudspropagiert.

Andre Breton, 1924

André Breton war eng mit der Entstehung der surrealistischen Bewegung in Frankreich verbunden. Zu Bretons grundsätzlichen Gedanken, die auch seine Anhänger teilten, gehörte die Auffassung, dass es keine objektiv gegebene äußere Wirklichkeit gibt. Breton veröffentlichte 1924 sein erstes Manifeste du Surréalisme in Paris und dominierte in der Folge die Bewegung. Für die Dauer der Bewegung blieb das Manifest maßgebend, im sogenannten „Zweiten surrealistischen Manifest“ von 1930 wurden nur geringfügige Änderungen vorgenommen.

1924 verfasste er das Manifest des Surrealismus, in dem er Surrealismus als einen „reinen psychischen Automatismus“ definierte: „Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. Nach ihrer Eroberung strebe ich, sicher, sie nicht zu erreichen, zu unbekümmert jedoch um meinen Tod, um nicht zumindest die Freuden eines solchen Besitzes abzuwägen.“

(André Breton: Erstes Manifest des Surrealismus, 1924)

1930 versuchte Breton im Zweiten Manifest des Surrealismus eine Neudefinition des Surrealismus als eine sozial-revolutionäre Bewegung: „Marx sagt, die Welt verändern. Rimbaud sagt, das Leben verändern.“ – Der Surrealismus sei die Synthese dieser beiden Ideen, er bekannte sich zur „sozialen wie zur psychischen Revolution.“

(André Breton: Zweites Manifest des Surrealismus, 1930)

(Quelle: Wikipedia)



Brief von Antonin Artaud an Yvonne Domenica, Schauspielerin der Ida Totemar in der Uraufführung 1928.

Brief an Ida Mortemart alias Domenica (1. Fassung)Madame, Sie fragen mich, was ich von diesem gewagten und skandalösen Stück erwarte: das ist sehr einfach, ich erwarte alles von ihm (…) Und ich sage noch mehr: ich führe es mit Sicherheit auf. Ich bin dessen so sicher wie eines Mechanismus, der aufgezogen wurde, um zur festgesetzten Stunden seine Sprengladung zu zünden. (…) Es gibt in diesem Stück einen Willen nach furchtbarer Wahrheit, nach grausamem Licht, das bis in die schmutzigsten Niederungen des menschlichen Unbewussten hineingetragen wird. (…) Der Autor hat nicht im Ekelhaften, Abscheulichen oder Häßlichen geschwelt, alles, was schmutzig oder ekelhaft ist, hat einen Sinn und darf nicht direkt aufgefaßt werden. Wir befinden uns hier mitten in der Magie, mitten in der menschlichen Alchimie. (…) Diese ekelhafte, diese abscheuliche Rolle – ich muß Ihnen nicht sagen, daß mir an ihr mehr als an allen anderen liegt, daß sie für mich mit Abstand die schönste des Stückes ist. (… ) Denn für mich kann in der Gegenwart einer solchen Person nur für echte Spießer etwas Skandalöses liegen. Es gibt nichts auf der Welt (selbst dies nicht), ich schwöre es, nichts, das nicht durch tiefe Aufrichtigkeit gerettet werden kann. (…) Nichts Menschliches kann schmutzig sein, wenn die Situation in der die Sache geschieht, fesselnd ist. Und diese ist es, wie Sie sehen können, ganz und gar. Ich wünsche Ihnen, dass Sie am 24. Dezember die phantastische Gestalt der Ida Mortemart in Person werden. Ich bin Ihr ergebener Antonin Artaud

 

ZITATE ZITATE

„Ich bin der Überzeugung, dass jedes Leben, das man überhaupt Leben nennen kann, in der Anstrengung besteht, seine Träume zu verwirklichen. Je anspruchsvoller diese Träume sind, desto schwerer ist ihre Verwirklichung. Es gehört zu den Bedingungen unserer Existenz als Menschen, dass wir Träume haben. Ein verwirklichter Traum ist aber kein Traum mehr. Wer keine Träume mehr hat, ist so gut wie tot. Deshalb müssen unsere Träume immer größer sein, als das, was uns erreichbar ist. Denn unser einziger Gewinn liegt im Scheitern bei der Verwirklichung unserer Träume. Jeder, dessen Träume hochfliegend genug sind, ist zum Scheitern verurteilt und sollte dies als Bedingung ansehen dafür, dass er überhaupt am Leben ist. Wenn er auch nur einen Augenblick denkt, er habe gesiegt oder er sei am Ziel, ist es auch schon zu Ende mit ihm.“

(Eugene O’Neil)


„Diese Vorstellung vom „American Dream“, deren Pointe in der zwar immer anzustrebenden aber nie endgültig gelingenden bzw. notwendig scheiternden Realisierung des Traums besteht, ist mir um einiges sympathischer als das einerseits geheimdienstliche und andrerseits der Sache nach planwirtschaftliche und totalitäre Modell, das heute, gestützt auf möglichst vollständige Datensammlungen über jeden einzelnen Menschen, das Scheitern und die Tragödie verhindern soll. Diese Versuche, Risiken im „Geschäftsleben und überhaupt im Leben umfassend zu beseitigen, diese neuen, durch Algorithmen gestützten Wahrheitsfindungen, erinnern mich fatal an die planwirtschaftliche und totalitäre Vorstellung, Sicherheit und Glück berechnen und nach objektiven Kriterien planen und den Menschen überstülpen zu können. Langsam beginne ich zu glauben, was der aus Sankt Petersburg stammende Philosoph Boris Groys schon kurz nach der sogenannten Wende konstatierte: Die Sieger nehmen die Kultur der Besiegten an, nicht umgekehrt.“

(Carl Hegemann)


„Dann wird die Wissenschaft selbst den Menschen belehren, dass er selbst nichts anderes sei als eine Art Klaviertaste oder Drehorgelstiftchen… und dass auf der Welt außerdem noch Naturgesetze vorhanden wären… Selbstverständlich werden dann alle menschlichen Handlungen nach diesen Gesetzen mathematisch in der Art der Logarithmentafeln bis 10 000 berechnet und in einen Kalender eingetragen. Oder, noch besser, es werden einige wohlgemeinte Bücher erscheinen, in denen dann alles so genau ausgerechnet und bezeichnet ist, dass auf der Welt hinfort weder Taten aus eigenem Antrieb noch Abenteuer mehr vorkommen werden. Dann also werden die neuen ökonomischen Verhältnisse beginnen; vollkommen ausgearbeitete und gleichfalls mit mathematischer Genauigkeit berechnete. Dann wird ein Kristallpalast gebaut werden, dann… Nun, mit einem Wort, dann wird der Märchenvogel angeflogen kommen.“

(Dostojewski – Aufzeichnungen aus dem Kellerloch)





„… Der Rückzug in den Urwald der Vereinzelung oder der Gegenentwurf, Angriff auf breiter Front, mit den Mitteln der Kunst unter einem Dach, Theater, sind Strategien, die Gestalt brauchen. Denken ist die erste Strategie. „Denken heißt der Tendenz zur Selbsteinmauerung zu widerstehen“, unterrichtet Marcus Steinweg, der Heiner Müller liebt. „Theater kann man nur mit Freunden machen“, meint Müller am Ende seines Lebens; schwierig bis widersinnig an einem Ort, der sich durch Wahnsinn und durch Krise definiert. Tatsächlich ist in dem Gefüge dialektisch aufgehoben, was diese Art der Kunst, die eine Lebenskunst ist, ausmacht. Realität ist überkomplex, eigentlich Wahnsinn, und wenn es einen Zweck hat, liegt er darin, es auszuhalten. Die Kunst ist ein Weg dazu, sie bietet die Gegenwelt, den Gegenentwurf. Was wir Realität nennen, ist nur ein andere Definition für Krise. „Krisen sind Höhepunkte, die wir als Tiefpunkte wahrnehmen“ – wieder Steinweg, der auch Shakespeare liest: „Es gibt kein Jenseits des Theaters, weil es kein Jenseits der Bühne gibt.“ Wir haben versucht, der Selbsteinmauerung zu widerstehen, wir haben versucht, den Wahnsinn zu kontrollieren. „Theater ist kontrollierter Wahnsinn, der Freiraum, in dem Künstler spielen“, Müller nochmal. Wir haben versucht, die Kontrolle in den Wahnsinn zu treiben. Wir haben Theater versucht, wir haben Theater behauptet.“

(Thomas Martin und Benedikt Richert, 10. Juli 2017)


„Die Bühne wird zum Ort, an den sich Realität flüchtet, die in der Welt keinen Platz mehr hat. Außerhalb des Theaters wird immer nur ein Stück gespielt. Es hat den Titel: „Wie es euch zerfällt“. Es besteht aus Facetten einer sich auflösenden Welt, aus unendlich vielen, sich widersprechenden, aber grundsätzlich gleichberechtigten Perspektiven, weil nach dem Tode Gottes und dem unvermeidlichen Scheitern seiner politischen und wissenschaftlichen Ersatzsysteme keine Kriterien und Garantien für Wahrheit und Wirklichkeit mehr aufzufinden sind. Das Theater aber, das sich vom Theater verabschiedet, sucht nicht nach der verlorenen Realität, sondern schafft selber neue Wirklichkeiten: reflektierte, gestaltete Spezialwelten, die sind, was sie sind, die alles mögliche sind, nur kein Theater.“

(Carl Hegemann – Tradition und Fort-Schritt)


„Ich denke tatsächlich, dass die Fähigkeit zum Traum verloren gegangen ist. Die Leute geben sich zufrieden mit dem Status Quo, es gibt in vielen Gesellschaften keinen Platz mehr für Utopien, sie fehlen uns. Das führt dazu, dass es auch an Fortschritt fehlt, eine Konsequenz ist die Wiederkehr des Rückschritts, die Wiederkehr des Autoritären, die wir überall beobachten, und der galoppierende Rückschritt, den wir überall erleben.“

(José Eduardo Agualusa)





„… wie in der Ranking-Kultur jenes Bankenwesen kulminiert, das die Aufmerksamkeit als eine Währung handelt. Töricht! Als könne es in Kunstfragen eine Hitlisten-Praxis geben. Top und Flop sind die Pendel-Pole einer Denkweise, die lüstern auf das schaut, was als „Urteil“ unterm Strich erscheint – und schon ist man unter Niveau. Top und Flop, das mediale Analphabeten-Abitur. Sternchenvergabe bei Kinostarts oder Buchneuheiten zum Beispiel werden gern mit Informationshilfe für Leser legitimiert. Aber Kunst taugt nicht zur Tendenz, nicht zur Zensurenvergabe, nicht zur Alternative gut oder schlecht. Was der eine lobt, langweilt den anderen. Kürzlich schrieb uns jemand, Bewertungssternchen seien doch aber hilfreich, immerhin müsse doch eine gewisse Strecke bis zum nächsten Kino zurückgelegt werden, da wolle man schon ein Maß Sicherheit haben, ob sich der Weg lohne. Wer von der Kunstbewertung solche Garantien verlangt, ist schon der Banauserei in die Falle gegangen und weiß im Hinuntersturz in die Primitivität nichts mehr von der Erotik jenes Nullpunktes, an dem Gewissheit endet, aber Erwartung beginnt.“

(Hans-Dieter Schütt – Neues Deutschland, 28. September 2011)


„Kein faschistischer Zentralismus hat das geschafft, was der Zentralismus der Konsumgesellschaft geschafft hat.“

(Pier Paolo Pasolini, 1973)



„sobald das Ästhetische zu einer Produktivkraft im postdisziplinären Kapitalismus wird, ist es seiner Kraft beraubt“. (Christoph Menke) Wenn Kunst als Teil des Funktionssystems Zwecke, und seien sie noch so gut gemeint und begründet, realisieren muss, ist es vorbei mit ihr. Sie unterwirft sich wie alles andere der Logik erfolgreicher Praxis. Sie verkörpert nicht mehr die andere dunkle Seite, sie schwimmt mit.“

(Carl Hegemann – No Service / Gegen die Konsenskultur)


„Die Frage ist doch, dürfen Künstler noch Macht haben oder geht allmählich die gesamte Macht an die Leute über, die über die Verwertung von Kunst befinden – Museumskuratoren oder Kulturfunktionäre oder Leute, bei denen man Anträge stellt, um Gelder zu bekommen. Das sind zugleich Filter, die bestimmte Sachen oder Ansätze aussieben. (…) Mittlerweile ist die Angst, es sich mit jemandem zu verderben und seine Miete nicht mehr zahlen zu können so groß, dass es auch überhaupt keine Solidarität mehr gibt. (…) Man nimmt sich aus der Verantwortung, wenn man jemanden holt, weil der ein dickes Telefonbuch hat und sich um die Finanzierung kümmert. Es gibt es zwei Wege. Entweder man versucht die finanzielle Situation zu verbessern und führt eine Strukturreform durch oder man lässt es alles weiter laufen und versucht Leute zu finden, die von woanders her Geld einbringen können. Damit wird die Zweckfreiheit der Subvention untergraben. In dem Moment, wo viele Sponsoren nötig sind, um ein Theater am Laufen zu halten, gibt es andere Abhängigkeiten. Auch wenn man das Gegenteil behauptet. Wenn man sich in die Abhängigkeit von einem Sponsor begibt, ist man schon unglaubwürdig. Da kann man auf der Bühne machen, was man will. Dann ist man wirklich Ornament am Arsch des Kapitalismus. (…) Das sagt man natürlich nicht laut sondern macht im Gegenteil Veranstaltungen, die heißen dann „Disobedience“ wie an der Tate Modern. Ungehorsam als Prinzip war das Thema. Den Künstlern wurde gesagt: „Ihr könnt alles machen außer irgendwelche Frontalangriffe auf den Hauptsponsor der Veranstaltung!“ Aber das ist genau der Knackpunkt. Es soll ungehorsam aussehen, aber es soll nicht wirklich ungehorsam sein.“

(Bert Neumann – Die Störung)

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